Warum Sie Ihre Zielgruppe vernachlässigen sollen

Neulich bei einem meiner Vorträge zum Thema Human Centered Business Design habe ich die Marketingverantwortlichen im Publikum gebeten, ihre Zielgruppe zu beschreiben. Wie erwartet warfen sie einige soziodemographische Eckdaten in die Runde. Manche konnten auch Statistiken über Freizeitaktivitäten oder Lieblingsmarken beisteuern. So richtig greifbar wurde dieses Zielgruppengebilde für mich allerdings nicht. Und das ist ein großes Problem für alle, die ihre Produkte oder Dienstleistungen genau auf den Kunden, User, Konsumenten, Klienten, Mandanten, Patienten, Zuschauer usw., schneidern möchten.

Zielgruppenbeschreibungen, die aus Daten generiert werden, sind der Durchschnitt vom Durchschnitt. Menschliche Lebensentwürfe sind heute so vielfältig und der Individualismus so alltäglich, dass es schier unmöglich ist, die Eigenschaften einer größeren Menge von Menschen in einem Mittelwert auszudrucken.

Hinzu kommt die Unmöglichkeit, für ein solches Mischwesen eine Strategie, einen Flyer oder nur ein Facebook Post zu entwickeln – geschweige denn ein ganzes Angebot. Oder wie willst Du für den 20 bis 29 Jährigen, Club Mate trinkenden, FC-Bayern-Fan das ultimative On-line-Banking-Konto bewerben? Und zwar so, dass JEDER in dieser Gruppe das Gefühl hat: „sie meinen mich“?

Wenn ein Angebot differenzieren soll, dann müssen wir in uns in der Entwicklung auch ein differenziertes Bild der Menschen machen, die es kaufen sollen. Dafür eignet sich eine Personenbeschreibung auf der Basis von differenzierteren Daten. Idealerweise haben wir mit Menschen wie diesen gesprochen. Wir haben sie in ihrem Alltag beobachtet, wir haben sie eventuell sogar eingeladen, das Produkt oder die Dienstleistung gemeinsam mit uns zu entwickeln – sogenannte „Co-Creation“. Da wir uns natürlich nicht mit ALLEN Menschen unterhalten können, suchen wir uns welche raus. Auch hier plädiere ich für eine Alternative zum Mittelwert: wenn wir uns mit extremen Menschen unterhalten, lernen wir bedeutend mehr über das Thema als wenn wir uns mit Otto Normaldurchschnitt unterhalten. Beispiel: ich will wissen, wie ich Oberstufenschüler für meine Hochschule gewinnen kann. Es liegen schon viele Daten vor, die alle das altbekannte Zielgruppenbild zeichnen. OK, das ist schon mal ein Grundgerüst. Wenn ich allerdings eine pointierte und differenzierte Ansprache gestalten möchte, wäre es sinnvoll mit extremen Gruppen zu sprechen:

  • Mit den Fans: ich könnte Studenten suchen, die meine Hochschule lieben, die sich total damit identifizieren und allen sagen; „ihr musst auch hierher kommen“.
  • Mit den Verweigerern: die sich die Hochschule angeschaut haben, aber dann woanders hingegangen sind – z.B. alle, die in einer Befragung angeben, kleine Gruppen und praktische Arbeiten seien ihnen viel wichtiger als der Standort und, die sich dann für die TU München oder Berlin einschreiben (Achtung: auch eine Gefahr der Statistik – Menschen wissen doch selber nicht, warum sie tun, was sie tun – das gibt auch bald ein Artikel).

Das geballte Wissen aus diesen Begegnungen bildet die Grundlage für die „Persona“. Die Persona ist die Beschreibung einer fiktiven Person auf der Basis Deiner Beobachtungen und Befragungen. Welche Muster hast Du erkannt? Die Persona hat einen Namen (z.B. Stefan), ein Alter, einen Wohnort, Eltern, Freunde, Hobbies usw, usf. Je genauer Du diesen Menschen beschreiben kannst, desto lebendiger wird die Persona. Später, bei der Entwicklung der neuen Marketingkampagne kann ich mich fragen; „Was würde Stefan davon halten?“ So nimmt die Zielperson im wahrsten Sinne des Wortes Gestalt an. Natürlich kann eine Gruppe wie Studierwillige durch mehrere Persona vertreten werden – damit kann man immer wieder gegenchecken, inwieweit eine geplante Maßnahme alle oder nur Teile der Zielgruppe erreichen wird.